Bis zur Pubertät wächst ein Kind im Durchschnitt 4 – 6 cm pro Jahr, in der Pubertät gar 8 – 12 cm. Dieser Aufbauprozess kostet viel Energie, die zuerst über die Nahrung aufgenommen werden muss. Das dynamische Gleichgewicht von Energieaufnahme und -verbrauch im Lot zu halten, ist nicht einfach: Der Energiebedarf eines heranwachsenden Kindes ändert sich je nach Alter oder körperlicher Aktivität.
Bei Kindern und Jugendlichen mit PKU spielt durch die eiweissarme Diät ein weiterer Faktor auf der Aufnahmeseite mit rein. Drei Experten gaben Swiss PKU darüber Auskunft, was bei Kindern und Jugendlichen mit PKU in Bezug auf Wachstum und eiweissarme Ernährung besonders zu beachten ist:
Claudia Salvisberg
Dipl. Ernährungsberaterin HF und Mitglied des Interdisziplinären Stoffwechselteams, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Bern
PD Dr. med. Udo Meinhardt
Wachstumsspezialist und stellvertretender Leiter des Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrums Zürich (PEZZ)
Janina Lahl
Dipl. Ernährungswissenschaftlerin und Medical Advisor Metabolics D-A-CH bei der Nutricia GmbH, Metabolics Expert Centre D-A-CH, Bad Homburg
Eiweissbedarf bei Phenylketonurie
Von Claudia Salvisberg, Dipl. Ernährungsberaterin HF
Der Körper benötigt Eiweiss beispielsweise für das Wachstum, die Blutbildung und den Aufbau bzw. Erhalt von Muskelmasse. Nebst einer genügenden Eiweisszufuhr ist eine ausreichende Energiezufuhr nötig. Ansonsten wird das Eiweiss nicht als Baustoff sondern als Energielieferant vom Körper gebraucht. Eiweiss (oder auch Protein genannt) besteht aus verschiedenen Aminosäuren, eine davon ist Phenylalanin.
PKU-Betroffene haben den gleichen Eiweissbedarf wie Stoffwechselgesunde. Aus diesem Grund orientieren sich die Empfehlungen zur Eiweisszufuhr an den Empfehlungen der D-A-CH (Deutsche, Österreichische und Schweizerische Gesellschaft für Ernährung).
Bei PKU funktioniert das Enzym (Phenylhydroxylase) nicht ausreichend, daher müssen die Betroffenen eine phenylalaninarme bzw. eiweissarme Ernährung einhalten. Der Eiweissbedarf kann somit nicht ausreichend durch natürliche Quellen wie Fleisch, Ei, Milch, Getreide u.s.w. abgedeckt werden. Wieviel natürliches Eiweiss eine Person mit PKU essen kann, ohne dass die Phe-Blutwerte zu hoch sind, ist sehr unterschiedlich.
Damit trotz der eingeschränkten Nahrungsmittelauswahl eine bedarfsdeckende Eiweisszufuhr möglich ist, werden phe-freie Aminosäurenmischung eingesetzt. Mit der Aminosäurenmischung werden auch alle benötigten Vitamine (z.B. Vitamin B12) und Mineralstoffe (z.B. Calcium, Eisen) ausreichend abgedeckt.
Bei einer klassischen PKU können praktisch nur pflanzliche Eiweisse gegessen werden. Diese haben im Vergleich zu tierischem Eiweiss eine weniger hohe biologische Wertigkeit. Aufgrund der eingeschränkten Auswahl und Menge an natürlichem Eiweiss und der schnelleren Aufnahme der Aminosäuren im Darm wird der Eiweissbedarf bei Personen mit PKU etwas höher als in den D-A-CH Empfehlungen angesetzt.
Es gibt Lebensphasen, bei denen bei PKU besonders auf eine ausreichende Eiweissversorgung zu achten ist. Im Kleinkindalter können die Kinder von einem Tag auf den anderen die Flaschennahrung verweigern oder drastisch reduzieren, da sie nur noch feste Nahrung essen möchten. Die Aminosäurenmischung zu den Mahlzeiten soll hier sofort entsprechend erhöht werden. Ein weiteres Beispiel sind Jugendliche im Wachstumsspurt, die innerhalb einiger Monate deutlich an Länge und Gewicht zulegen, auch hier muss die Menge der Aminosäurenmischung gut angepasst bzw. vorausschauend etwas höher dosiert werden. Eine gute Überwachung der Eiweisszufuhr ist auch für Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere und stillende Mütter mit PKU zentral.
Personen, welche keine klassische Diät einhalten müssen, können relativ grosse Mengen natürliches Eiweiss (Phe) essen. Sie benötigen nur eine geringe Menge oder auch gar keine Aminosäurenmischung. In diesem Fall ist es empfehlenswert, die Eiweiss- Vitamin- und Mineralstoffzufuhr regelmässig mittels eines Essprotokolls zu überprüfen. Die Protokolle sollten möglichst die Alltagssituation erfassen und während mehreren Tagen geführt werden.
Bei regelmässigen Kontrollen im Stoffwechselzentrum wird eine ungenügende Eiweissversorgung und/oder ein schlechtes Wachstum im Kindesalter rasch erkannt. Die Kontrollen finden aus diesem Grund im Kleinkindalter mind. alle 3 Monate und später alle 6 Monate statt. Für Erwachsene wird eine jährliche Kontrolle empfohlen. Bei jedem Termin im Stoffwechselzentrum wird die momentane Eiweisszufuhr erfragt und berechnet. Die Aminosäurenmischung kann so neu angepasst werden. Ebenso wird bei jedem Termin das Gewicht und die Körperlänge bestimmt und bei Kindern auf die entsprechenden Wachstumskurven eingetragen.
Interview zu Wachstum
Wachstumsspezialist PD Dr. med. Udo Meinhardt vom Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrum Zürich (PEZZ) erklärt, worauf beim Wachstum von Kindern und Jugendlichen geachtet werden sollte.
Was würden Sie Eltern in Bezug auf die Kontrolle der körperlichen Entwicklung ihres Kindes empfehlen?
Wir erachten es als sinnvoll, wenn neben dem Kinderarzt auch die Eltern auf ein normales Wachstum und eine normale Gewichtsentwicklung beim Kind achten. Wir möchten die Kompetenz der Eltern unterstützen und empfehlen ihnen, selber eine Wachstumskurve für ihr Kind zu führen. Dazu müssen sie das Kind mindestens einmal jährlich möglichst genau messen und die Daten auf Normkurven auftragen. Verbindet man die Messpunkte durch eine Linie, ergibt das die Wachstumskurve. Eltern können die Kurve entweder von Hand erstellen oder mithilfe einer App fürs Handy (siehe Kasten zur App).
Woran erkennen Eltern, dass mit dem Wachstum ihres Kindes allenfalls etwas nicht stimmt?
Ab dem 2. Geburtstag sollte die Wachstumskurve eines Kindes immer etwa parallel zu den benachbarten Normkurven verlaufen. Verlässt die Kurve „ihren“ Kanal, ist die Abklärung durch einen Facharzt angezeigt. Grundsätzlich spielen zwei Aspekte eine Rolle, wenn es darum geht zu beurteilen, ob Grösse und Gewicht eines Kindes der Norm entsprechen: Die biologische Reife des Kindes und allfällige chronische Krankheiten.
Nicht alle Kinder wachsen gleich schnell und werden gleich gross. Der körperliche Entwicklungsstand – d.h. die biologische Reife – kann darum vom eigentlichen Alter abweichen. Scheint das Wachstum eines Kindes auffällig zu sein, ist die Bestimmung der biologischen Reife mit Hilfe eines Handröntgenbildes die erste Massnahme. Aufgrund des Handröntgenbildes können erfahrene Ärzte das biologische Alter berechnen und abschätzen, wann ungefähr die Pubertätsentwicklung beginnen wird, ob sie früh oder spät einsetzen wird und wie gross ein Kind letztlich als Erwachsener sein wird. Bei der Beurteilung sollte zudem die familiäre Konstitution berücksichtigt werden: Wie gross sind die Eltern? Wann hat bei ihnen der Wachstumsschub oder die Pubertät eingesetzt?
Chronische Krankheiten können sich negativ auf die körperliche Entwicklung eines Kindes auswirken. Sie können dem Kind den Appetit rauben. Oder sie bewirken, dass ein Kind – obwohl es genügend isst – die Energie aus der Nahrung ungenügend aufnimmt oder umwandelt. Darum ist es wichtig, bei Wachstumsauffälligkeiten eine chronische Erkrankung als Ursache in Betracht zu ziehen.
Gibt es Phasen in der Entwicklung eines Kindes, die besonders entscheidend sind?
Ich würde zwei Phasen hervorheben. Die erste betrifft die ersten 2 bis 3 Lebensjahre. Je nachdem in welchem Mass der Fetus mit Nährstoffen versorgt wurde, passt das Kind in dieser Zeit sein Wachstum an das Muster an, das es in seinen Genen geerbt hat. In dieser Zeit werden meist regelmässige Wachstumskontrollen durch die Kinderärzte durchgeführt. Eine weitere wichtige Wachstumsphase, die leider häufig weniger genau überwacht wird, ist die Pubertät: Jugendliche wachsen in der Pubertät bis zu 8 – 12 cm pro Jahr. Man spricht vom „Pubertätswachstumsspurt“. Er trägt wesentlich dazu bei, dass Jugendliche die von den Eltern vererbte Zielgrösse erreichen. Es ist darum wichtig, dass das Energiegleichgewicht auch in dieser „turbulenten“ Phase bestehen bleibt.
Der Pubertätswachstumsspurt setzt bei Mädchen etwa zwei Jahre früher ein als bei Knaben. Mädchen haben im Durchschnitt ca. 2 Jahre nach der ersten Periode ihre Endgrösse erreicht, während Knaben oft bis 18 noch an Körperlänge zulegen.
Was bedeutet das nun für Kinder mit PKU?
Phenylketonurie an sich hat keinen Einfluss auf das Wachstum. Im Rahmen der Spezialdiät zur PKU-Behandlung muss aber die richtige Energieversorgung gewährleistet sein. Denn verzögertes Wachstum – und insbesondere auch verzögerte Gewichtsentwicklung – kann auch die Folge einer ungenügenden Kalorienzufuhr sein. Mangelernährung wirkt sich zuerst auf die Gewichtsentwicklung und erst später auf das Wachstum aus; eine Abnahme des Gewichtes in Bezug zur Grösse weist immer auf einen relativen Energiemangel hin.
Bei einem Kind oder Jugendlichen mit PKU verschlechtert sich in dieser Situation auch die Stoffwechselkontrolle. Erhält der Körper zu wenig Kalorien, baut er eigene Eiweisse ab. Da diese auch Phenylalanin (Phe) enthalten, kann es vorkommen, dass ein betroffenes Kind – trotz Phe-armer Diät – erhöhte Phe-Werte im Blut zeigt.
Aus Sicht des Wachstumsspezialisten ist darum bei Kindern und Jugendlichen mit PKU generell Vorsicht geboten, wenn die Ernährung umgestellt oder auf ein anderes Produkt gewechselt wird; es müssen dabei immer auch der Energiebedarf und der Gewichtsverlauf im Auge behalten werden. Erscheint das Wachstum eines Kindes mit PKU auffällig, kann es sinnvoll sein, nach Rücksprache mit dem Stoffwechselspezialisten einen Wachstumsspezialisten hinzuzuziehen.
Grösse und Gewicht auf Smartphone oder Tablet überwachen
Das Pädiatrisch-Endokrinologische Zentrum Zürich (PEZZ) hat mit «Child-Growth» eine kostenlose App für Smartphones und Tablets entwickelt, mit der sich das Wachstum und die körperliche Entwicklung eines Kindes verfolgen lassen. Anhand der eingegebenen Messdaten ermittelt die App, wie gross und wie schwer ein Kind im Vergleich mit dem Durchschnitt der gleichaltrigen Kinder ist. Allfällige Störungen lassen sich so frühzeitig erkennen.
Die App läuft unter iOS8 bzw. Android 4 und höher.
Gut versorgt in jedem Alter – worauf bei der Auswahl der Aminosäurenmischung zu achten ist!
Von Janina Lahl, Medical Advisor Metabolics bei der Nutricia GmbH
In den ersten Lebensjahren sind die Entwicklungsschritte eines Menschen besonders gross. Jedes Alter hat seine Besonderheiten und stellt eigene Ansprüche an die Ernährung. Insbesondere in den bereits von Dr. Meinhardt hervorgehobenen Wachstumsphasen, nämlich den ersten zwei bis drei Lebensjahren und der Pubertät, ist die bedarfsgerechte Ernährung besonders wichtig. Neben einer ausreichenden Energiezufuhr ist dabei auch die richtige Zusammensetzung der Nahrung entscheidend.
Auch bei der PKU bedeutet dies, eine altersgerechte Zufuhr an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen (sog. Mikronährstoffen), dem Baustoff Eiweiss und natürlich Energie in Form von Kohlenhydraten und Fetten zu gewährleisten.
Um den Körper im Rahmen der eiweissarmen (phe-armen) Diät insbesondere mit Eiweiss (ausser Phe) und Mikronährstoffen ausreichend zu versorgen, gehören die sogenannten Aminosäurenmischungen (ASM) in den täglichen Speiseplan jedes PKU-Patienten.
Und da z.B. kleine Kinder eine andere Zusammensetzung und andere Mengen an Nährstoffen brauchen als Säuglinge, Jugendliche oder Erwachsene, gibt es im Idealfall auch verschiedene altersgerechte Aminosäurenmischungen.
Durch die Wahl eines altersentsprechenden Produktes ist eine optimale Versorgung mit allen Mikronährstoffen wie z.B. Calcium und Phosphat (u.a. wichtig für den Knochenstoffwechsel) oder auch den B-Vitaminen gewährleistet.
Die altersgerechte Eiweisszufuhr und damit die Menge an Aminosäurenmischung wird vom behandelnden Stoffwechselzentrum festgelegt und mit zunehmendem Alter immer wieder den sich ändernden Bedürfnissen angepasst.
Neben der Wahl des richtigen Produktes und der täglichen Zufuhrmenge (Eiweissbedarf) gibt es noch weitere Punkte bei der Einnahme zu beachten:
Es gibt Produkte, die nur „Eiweiss“ in konzentrierter Form (sowie Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente) liefern und es gibt Produkte, die zusätzliche Energie aus Kohlenhydraten und Fetten liefern.
Aus allen über die Nahrung aufgenommenen Makronährstoffen (Kohlenhydrate, Fette und Eiweisse) bildet der Körper schrittweise Energie oder nutzt diese als Baustoff zum Erhalt verschiedener Körperfunktionen. Stehen dem Körper jedoch keine Kohlenhydrate oder Fette zur Verfügung, nutzt der Körper die zugeführten Eiweisse, oder eben auch Aminosäuren, zur Energieproduktion. Wenn nun also ein PKU-Betroffener das „Eiweiss in konzentrierter Form“ ohne eine Mahlzeit zu sich nimmt, d.h. dem Körper keine zusätzlichen Kohlenhydrate oder Fette zuführt, nimmt der Körper (im Hungerzustand) das Eiweiss aus der ASM zur Energieproduktion. Das Problem ist nun, dass dem Körper das eigentlich zum Wachstum benötigte Eiweiss nicht mehr wie berechnet zur Verfügung steht.
Da die Tagesmenge der ASM auf mindestens 3 Portionen aufgeteilt werden sollte, trinken die meisten Patienten ihre ASM ohnehin morgens, mittags und abends zu ihren Mahlzeiten, ob zu Hause oder ausser Haus. So ist die adäquate Energie- und Eiweissversorgung bereits gewährleistet.
Wenn man allerdings z.B. morgens nicht gern frühstückt oder am Mittag keine Zeit zum ausführlichen Mittagessen hat, sollte die ASM (ohne zusätzliche Energie) immer in Kombination mit zuckerhaltigen Getränken (Apfelsaft) oder wenigstens einem kleinen eiweissarmen Snack verzehrt werden.
Zusatzinfo:
Der Verzehr zu den Mahlzeiten hat neben der besseren Nährstoffverwertung auch noch den Effekt, dass es den Nachgeschmack der ASM verringert.
Keine Sorge vor zu viel Kalorien: Die aufgenommene kcal-Menge zwischen z.B. einer Portion Milupa PKU 2-shake Erdbeere (14g Eiweiss=181kcal) und der gleichen Eiweissmenge aus PKU 2-Prima (+z.B. einer kleinen Scheibe eiweissarmen Brotes mit Butter) ist in etwa vergleichbar.